Thoughts on improvisation:

Vulnerable and yet powerful,
concentrated and constantly shifting,
searching for true and finding new expression,
blending into song and amorphous shapes,
serious and funny
surprised and safe
with open senses
courage and trust
old and new
serious and funny
thousands of pieces in a kaleidoscope,
so beautiful and already over.

Verletzlich und doch kraftvoll,
konzentriert und sich ständig verändernd,
nach dem echten Ausdruck suchend und einen neuen findend,
verschmelzend im Lied und ohne feste Gestalt,
einen Anfang finden und den Moment zu enden,
überrascht und sicher,
mit scharfen Sinnen,
Mut und Vertrauen,
Altes und Neues,
ernsthaft und lustig,
tausende kleine Stücke in einem Kaleidoskop,
so schön und schon vorbei.

Von wem stammen dieses schönen Worte?
Does anybody know who put it so beautifully in words?
Please let me know!

Blog: Not dark yet – Festivalbericht NSJ 2023

Not dark yet – große und kleinen Entdeckungen beim North Sea Jazz 23

North Sea Jazz ist big

Alles ist groß, viel, teuer, schwindelerregend unüberschaubar.

3 Tage volles Programm mit insgesamt offiziell 90.000 Besuchern. Ich schätze aber, dass sie dieses Jahr noch viel mehr Menschen hineingelassen haben. Es war mega voll und an dem Wochenende 7.-9. Juli war es heiß in Rotterdam, draußen mind. 30 Grad. Drinnen war es in manchen Räumen ebenso heiß, in anderen wiederum auf gefühlte 15 Grad runtergekühlt, so dass man ne Jacke dabei haben musste, um sich nicht zu erkälten.

Das Spektakel findet in dem riesigen Messekomplex „Ahoy“ statt. Eigentlich alles unter einem Dach. Draußen gibt’s Buden mit Essen und Trinken und ein paar kleinere Open-Air-Bühnen.

Insgesamt werden parallel 16 Bühnen bespielt. Überall ist es laut!

Puh! So ein Megaevent kann ganz schön stressig sein – und teuer.

Wir hatten das Glück, Early-Bird Tickets für die gesamten 3 Tage ergattern zu können. Auch das ist schwierig und stressig, hat aber dieses Jahr geklappt!
Und so war ich zum dritten Mal dort und komme müde und voller bunter Eindrücke und Emotionen zurück!

Not dark yet… Tom Jones???

Mit Tom Jones einen Bericht über ein Jazzfestival zu beginnen ist ja beinahe frevelhaft.

Aber manchmal ist das erste spontane Bild, das aufpoppt, der beste Einstieg.

Tom Jones – eine Legende – aber was macht er auf dem North Sea Jazz Festival? Bei dem unfassbar riesigen Aufgebot an Künstler*innen und Stars war er eigentlich gar nicht auf meiner Liste der Musiker*innen, die ich unbedingt sehen wollte. Zumal er in der größten Halle des Festivals spielte – im „Nile“. Da passen ca. 10.000 Zuschauer rein. Es können auch 15.000 gewesen sein.

Fakt ist, dass diese Veranstaltung wie die meisten großen „Jazz“festivals diese Masse an Publikum zieht, weil eben viele Pop, Soul, R’n‘B-Acts spielen.

Um die Geschichte mit Tom Jones kurz zu machen:

Wir erkämpften uns kurz vor Showbeginn einen heißbegehrten Platz auf der steilen Tribüne ganz hinten in der Halle. Aber hier kann man zumindest sitzen und da links und rechts neben der Bühne riesige Leinwände die Show zeigen, kann man auch von hier etwas sehen.

Tom Jones startet mit einem Bob Dylan Song und singt charismatisch und es klingt fett: Not dark yet.

Ich denke: wow!
Das habe ich nicht erwartet. Mutig, damit eine Show zu starten.
Super Stimme, sehr viel Ausdruck, klasse Songauswahl und so atmosphärisch!

Dann spulte er seine Hits ab und als schließlich noch das schlagerhafte „Delilah“ kam, mussten wir fluchtartig, uns durch die schunkelnde Masse einen (Aus)Weg bahnend, den Saal verlassen.
Mit diesem Ohrwurm sollte ein Jazzfestivaltag nicht zu Ende gehen müssen!
Aaaah! Hilfe!!!

Die Qual der Wahl

Aber es gibt eben Hochs und Tiefs, Licht und Schatten, gerade bei diesem riesigen Angebot an Acts.Da muss man sich entscheiden, was man sehen möchte.
Und weil oft auch die großen Säle rappelvoll sind und man nicht mehr hineinkommt, heißt es, früh genug in die Schlange stellen, wenn man ein Konzert unbedingt erleben will.
Doch manchmal sind gerade die zufälligen, ungeplanten Entdeckungen die besten!

Zufallsentdeckungen

So passierte es, dass wir nach einem wirklich schönen Konzert des Brad Mehldau Trios, für das wir uns schon 30 Minuten vor Konzertbeginn gute Plätze vorne sichern mussten, in der Pause vor dem nächsten Konzert noch einen Blick ins „Amazon“ werfen wollten, wo John Mc Laughlin’s Shakti-Projekt spielte.

Ich folgte meiner Freundin Inge, die das gerne sehen wollte, etwas zögerlich. Wir mussten ganz hoch auf den Balkon des 2. Ranges aufsteigen, weil unten alles besetzt war, um dann eine unglaubliche Show zu erleben!

Wahnsinn! Ich bin immer noch total geflasht! 
Und am Ende hatte ich Tränen in den Augen und war emotional so mitgerissen und vom virtuosen Zusammenspiel so energetisiert, wie es ganz selten passiert. Und der Sänger und die Percussionisten haben mich zutiefst beeindruckt!

Und ein fünfminütiges Solo auf einem kleinen Tambourin-artigen Instrument, das unglaublich spannend und fesselnd war. So was habe ich noch nie vorher erlebt!

Die Besetzung: Padma Vibhushan Ustad Zakir Hussain – Tabla, John McLaughlin – Guitar, Shankar Mahadevan – Vocals, Ganesh Rajagopalan – Violin, Selva Ganesh – Kanjeera, Tabla

Fünf Musiker, die im Halbkreis auf einem Podest auf der Bühne sitzen und wunderschöne, komplexe Musik zu merkwürdigen Klatschpatterns (mal mit der Handfläche mal mit dem Handrücken auf die Handfläche klatschend) zelebrieren, in für mich nicht nachvollziehbarer Konnakol-Manier, wie das in diesem indischen System eben üblich ist. Unglaublich gut verbunden und zusammen, aufmerksam und mit großer Freude am gemeinsamen Musizieren. Die an Vocalpercussion erinnernde Silbensprache des Konnakols ist sowieso faszinierend, wenn sie mit soviel Entspanntheit und Können benutzt wird.

Das letzte Stück hat mich emotional so mitgenommen, dass ich Tränen in den Augen hatte.

Esperanza Spalding und Co-Musicking

Die wunderbare Esperanza Spalding war dieses Jahr „artist in residence“ des Festivals und hat mit verschiedenen Formationen auf der Bühne gestanden und auch interaktive Workshops gegeben, für die man sich anmelden musste, die aber nichts extra gekostet haben.

Nach Esperanzas einleitenden Worten und einigen Erklärungen zum Co-Musicking-Konzept, improvisierten ca. 40 Menschen in einem Raum miteinander. Einige sangen, spielten Percussion – auch Instrumente wie Schlagzeug, Rhodes, Saxophone standen im Raum und wurden von Musikern ihrer Band gespielt.

So entstanden spontan 4 Stücke improvisierte Musik, initiiert durch die Eingangsfrage:

“What do you need the music to tend to today?”

“Wozu soll die Musik heute dienen?“ „Wofür brauchst du heute die Musik?“

Esperanza sammelte die Antworten der Teilnehmenden und fasste sie zusammen, um dann dazu gemeinsam in einen musikalischen Flow zu kommen.

Es kamen Antworten wie: ohne Angst sein, Freiheit, Loslassen können, nicht urteilen müssen, Spaß haben, über Grenzen gehen, Verbindung finden, verrückt sein, nicht denken…

Und dann spielten wir drauf los und tanzten, wie in Wellen, groovend und tönend, frei und aufmerksam zuhörend. Esperanza stand mit ihrem Kontrabass einen Meter hinter mir. Yes!

Es war eine schöne Abwechslung an diesem Festivaltag, mal selbst ins Tun zu kommen, statt nur zu rezipieren. Die große Euphorie und Erkenntnis blieben aber bei mir aus! Dafür mache ich schon zu lange Improvisation in unterschiedlichsten Formaten und Konzepten. Wahrscheinlich bin ich ein alter Hase;-), hatte aber Spaß!

Wer Esperanza‘s aktuelles Album „Songwrights Apothecary Lab“ kennt und sich mit der Philosophie dahinter auseinandergesetzt hat, weiß, dass sie sich intensiv mit der heilenden Kraft der Musik beschäftigt und viel mit Musiktherapeuten und Heiler*innen zusammengearbeitet hat. Ich mag das Album sehr!

Es ist doch aber interessant, dass es auch in den oben genannten Wünschen der teilnehmenden Musiker*innen immer darum geht, urteilsfrei in Musizieren zu kommen, ohne zu denken und ohne Angst, etwas falsch zu machen.

Dieser Befreiung von Beurteilung und vom Leistungsprinzip liegt scheinbar eine tiefe und verbreitete Sehnsucht zugrunde. Ich kenne das gut.

Darüber schreibe ich bestimmt demnächst noch ausführlicher.

Highlights und Enttäuschungen

Die Konzerte von Esperanza Spalding waren sehr inspirierend für mich.

Im Duo mit Fred Hersch konnte man sie als Sängerin erleben, die super frei und kreativ mit Standards spielen konnte. Sie hat eine klare, helle, flexible Stimme und bestimmt ein absolutes Gehör. Sonst könnte sie nicht so unbeschwert virtuoseste Linien singen und sich immer wieder mit dem Klavier vereinen. Außerdem ist es beeindruckend wie entspannt sie auf der Bühne ihre Geschichten und Gedanken mit dem großen Publikum teilt. Und da waren bestimmt 3000-4000 im Publikum. Ich weiß es nicht genau, weil ich sehr weit vorne saß.

Auch thematisierte sie – selbstbewusst und humorvoll – in ihrer Moderation, dass während des Konzertes Leute aufstanden und gingen und dafür wieder andere hineingelassen wurden.

Das sorgt extrem für Unruhe und ist ziemlich respektlos den Künstler*innen gegenüber und dem anderen Publikum, was jedes Mal abgelenkt wird. Es herrscht in fast allen Sälen ein stetiges Kommen und Gehen.

Fluch und Segen eines so großen Angebots an sich überschneidenden Konzerten auf 16 Bühnen parallel.

Auch wir gingen teilweise mittendrin aus einer Show raus, um die nächste überhaupt sehen zu können. Denn oftmals musste man sich schon 30 Minuten vorher anstellen, um noch einen Platz zu bekommen.

Ganz oft haben wir erlebt, dass wir z.B. bei Van Morrison, Pat Metheney oder Samara Joy nicht mehr hätten reinkommen können, obwohl sie in den großen Hallen gespielt haben.

Doch dann gibt’s ja immer noch einiges parallel, was man stattdessen angucken und entdecken kann.

Also gingen wir spontan statt zu Samara Joy eben zu Madison McFerrin, der Tochter von Bobby McFerrin. Beim dritten Song konnte und wollte ich nicht länger bleiben. Sie sang mittelmäßig, die R’n‘B Songs waren nicht mein Geschmack und sie machte aggressive Ansagen. Vielleicht hatte sie einen schlechten Tag.

Und dann hatte sie ein knappes Netzkleid an und war beinahe nackt, was ich sehr befremdlich fand.

Aber das ist auch Geschmacksache.

Nur bin ich etwas irritiert, dass ich mich so sehr an Äußerlichkeiten aufhänge und mir die Bühnenoutfits so sehr ins Auge fallen!

Snarky Puppy haben gebrannt und wurden abgefeiert von 10.000 Menschen. Das war fett!

Zu Kurt Elling und Superblue mit Charlie Hunter haben wir wild abgetanzt. So locker, funky und mit Spaß habe ich Kurt Elling noch nie erlebt. Ich fand ihn sonst live immer etwas unterkühlt und kontrolliert. Das war hier bei 30 Grad im Zelt was ganz anderes. Er hat geschwitzt und ist richtig abgegangen – und das Publikum ebenso. Und Charlie Hunter spielt gleichzeitig Gitarre und Bass auf einem Instrument. Wie das geht, habe ich noch nicht verstanden. Jedenfalls suchte ich eine ganze Weile nach dem Bassisten auf der Bühne, um dann aber festzustellen, dass der Gitarrist auch den Bass spielt.
Das Metropole Orkest spielte grandios die durcharrangierte „Diaspora Suite“ mit unterschiedlichen Solist*innen am Gesang. Großes Kino. Dabei waren u.a. Corinne Bailey Rae, Laura Mvula und die pakistanische Sängerin Arooj Aftab, die eine interessante Entdeckung war.

Meine Erkenntnis in diesem Konzert:
Bühnenpräsenz können auch introvertierte Künstler*innen haben. Sie hängt nicht davon ab, wieviel Show nach vorne gemacht wird, sondern auch eine tiefe innere demütige Ruhe und Zurückgezogenheit kann fesselnd sein.

Hauptsache echt und authentisch. Das zählt!

Apropos: Ruhe und Frieden sendete wieder Abdullah Ibrahim aus, den wir nur kurz sehen konnten, weil wir zum Workshop mit Esperanza Spalding wollten. Er hatte mich 2019 bei meinem ersten Mal beim NSJ so begeistert, dass ich Rotz und Wasser geheult habe – vor Rührung.

Am letzten Abend, noch völlig beseelt vom Shakti Konzert, verzichteten wir darauf, Gregory Porter im riesengroßen und vollgestopften „Nile“ anzuschauen und gingen lieber entspannt zum unserem letzten Konzert des Festivals, Esperanza Spalding’s „Off-brand gOdds“. Eine Performance aus Musik und Tanz, eine Mischung aus arrangierten und choreographierten Parts und Improvisationen. Sehr abwechslungsreich und stimmungsvoll, schön inszeniert, karges Bühnenbild und alle Akteure in weiß gekleidet. Fast etwas kühl. In der klimatisierten und viel zu stark runtergekühlten Halle wurde es echt fröstelig.

Wir blieben dennoch bis zum Schluss, entschädigt von einer grandiosen und mitreißenden Esperanza Spalding am Bass und Gesang und ihrer tollen Band, super Tänzer*innen und einem großen Chor, den das Publikum am Ende bildete.
Singend ging das Festival für uns zu Ende.

Nach 3 Tagen voller bisweilen ziemlich anspruchsvoller Musik (wenn man sich denn richtig Jazz gegeben hat) inmitten einer riesigen Masse von Menschen, ziemlich müde, aber erfüllt und inspiriert fuhren wir mit dem „Fiets“ quer durch Rotterdam „nach Hause“.

Übrigens, wenn ich von „wir“ spreche, meine ich 2 Herzensmenschen, meine Freundinnen und Kolleginnen Inge Rambags aus Rotterdam, eine wunderbare Sängerin und Improvisatorin, Chorleiterin, beste Vocal-Coachin ever und herzliche Gastgeberin und Corinne Schmidiger aus Zürich, eine ebenso großartige Sängerin und Improvisatorin, Body-Percussion-Spezialistin und Mitglied in verschiedenen innovativen A cappella-Projekten.

Britta Rex, August 2023

Blog: North Sea Jazz 2022

Ich war im Juli zum zweiten Mal nach 2019 bei diesem großen Festival in Rotterdam. Die Tickets hatten wir seit 2020 und konnten sie nun endlich einlösen. Es war wieder ein intensives wunderschönes  Wochenende mit lieben Freund*innen und mit viel guter Musik. Es gab beindruckende und berührende Momente und tatsächlich wieder ein paar Tränen.

Massen von Menschen strömen zu diesem größten Jazzfestival in Europa und man könnte fast den Eindruck gewinnen, Jazz sei dieser Tage total angesagt. Klar, es gibt auch viele Pop-Acts im Line-up, aber eigentlich Jazz in allen Facetten. Tickest sind heiß begehrt und innerhalb von einer Stunde nach Öffnung zum Verkauf meist schon weg.

Auf 15 Bühnen gibt es täglich von 15 Uhr bis 1 Uhr nachts Konzerte, in kleinen und großen Hallen, alle in dem riesigen Messekomplex „Ahoy Rotterdam“.

Ich sah an diesem Wochenende Künstler*innen wie Lizz Wright, Dianne Reeves, Lucia Cadotsch (Geheimtipp), Hiromi mit Streichquartett, Lionel Loueke, Eryka Badu, Gretchen Parlato, Jacob Collier, Gregory Porter, Charles Lloyd, John McLaughlin, Alicia Keys, Cecile McLorin-Salvant, um nur einige zu nennen. Teilweise von ganz nah!

Aber Gänsehaut und Tränen kommen zum Glück unverhofft und sind ein Indikator dafür, dass irgendeine Saite tief in uns zum Klingen gebracht wird.

So passiert bei Hiromi The Piano Quintett. Eigentlich wollten wir zum Metropole Orkest mit Lisa Fischer und Ledisi, kamen aber nicht mehr rein, weil die Halle schon voll war. Ziemlich enttäuscht sind wir dann bei Hiromi gelandet und was war das für ein Glück!

Diese Spielfreude, diese Kommunikation, diese Virtuosität, Experimentierfreude und Leidenschaft der Pianistin Hiromi und des Streichquartetts waren unglaublich. Nach einem rasanten Up-tempo Stück mit wahnwitzigen Klangkaskaden und schnellen Läufen, das groovte und laut und wild und fesselnd war, dass mir der Mund offen stand, kamen die fünf zu einem fulminanten Schluss, der so auf den Punkt war, dass sich ein tosender Jubel entlud. Alle, Publikum und Musiker*innen auf der Bühne strahlten. Da kamen mir die Tränen, weil ich so ergriffen war, von der Musik, von der Emotion im Klang und der Energie und schlichtweg von der Kraft und der Schönheit. Weil das Leben so erfüllend sein kann und der Moment so schön! Verrückt, oder?

Der zweite ergreifende Moment war tatsächlich bei Jacob Collier, der natürlich ein unglaublicher Musiker ist, den ich aber bis dato als Super-Brain und intellektuell abgestempelt hatte. Und ein Super-Brain ist er definitiv, vielleicht auch irgendwie übermenschlich, aber er hat mich so gekriegt mit seiner überbordenden, ansteckenden Musikalität und Präsenz. Der Moment, als der Platz vor der Bühne freigegeben wurde und die begeisterten Fans nach vorne rannten um zu feiern, zu singen und zu tanzen, war der Hammer!

In diesem Sinne:

hört Musik, macht Musik, geht auf Konzerte und genießt das Leben und den Sommer!

Erstaunlich, was in eine Millisekunde passt –
Winterblues bevor es Frühling wird / 
Milliseconds of doubts before spring

Hallo liebe Leserinnen und Leser!

Danke, dass Ihr da seid! Euretwegen komme ich ins Schreiben und ins Gedankensortieren. Und danke, dass Ihr mir viele schöne Gedichte geschickt habt für meine Recherchen zum Projekt „Deutsche Lyrik vertont“. Darüber habe ich mich sehr gefreut!

In diesem Brief erwarten Euch diese Themen:

  • Gedankengewitter in einer Millisekunde
  • Musiktipp gegen Winterblues
  • Gute Dynamik zwischen Menschen

Was in eine Millisekunde passt

Gerade komme ich vom Arzt. Nein, keine Sorge, nichts Schlimmes. Nur eine spezielle Untersuchung bei einem Facharzt, bei dem ich heute zum ersten Mal war.
Wahrscheinlich um mich von der Untersuchung ein bisschen abzulenken und um etwas Smalltalk zu machen, fragte er mich: Und was machen sie beruflich?Daraufhin sagte ich, ohne zu überlegen: Ich bin Sängerin.Dann lag ich da und ein stroboskopartiger Gedankenblitzhagel ging in meinem Kopf los, innerhalb der ersten Millisekunde dachte ich:
Klingt irgendwie auch cool!

Aber Moment! Sängerin? Wirklich? Bin ich gerade Sängerin? Kann ich meinen Beruf so nennen? Durch diese ganze Corona-Krise verstehe ich mich tatsächlich weniger als Sängerin, denn eine Sängerin singt und verdient Geld damit. Auf der Bühne. So ernsthaft. Und das Publikum hört zu. Es ist auf jeden Fall ein Publikum da. Jetzt denkt der Arzt bestimmt, ich lebe davon auf der Bühne zu stehen. Das stimmt ja gar nicht. Ist das nur ein Wunsch, an dem ich stur festhalte? Ist nicht „Sängerin“ auch ein bisschen einseitig und schlichtweg falsch, wenn ich betrachte, was ich de facto beruflich derzeit mache? Wenn ich aber jeden Tag singe, vielleicht auch beim Unterrichten, dann singe ich immerhin raus in die Welt. Sängerin sein bedeutet ja nicht, die schönste Stimme der Welt zu haben und dafür bezahlt zu werden zu singen. Es hat so viele Facetten zusätzlich…

Dann sagte er: Ach, interessant! Was singe sie denn?

Ich so: Jazz! Meistens. Und schob hinterher: Aber eigentlich bin ich nicht nur Sängerin, sondern Musikerin!

Er daraufhin: Ach! Was machen sie denn noch so?

Ich: Naja, ich schreibe Musik, spiele Klavier, arrangiere und gebe Unterricht.

Seine kurze Antwort: Wow! Das klingt toll! Ist aber bestimmt nicht leicht für Sie im Moment.

Genau!

Eigentlich ist es wirklich ganz schön toll! Was für einen schönen Beruf wir Musiker:innen doch haben. Ist ziemlich aufregend und auf jeden Fall für mich das, was ich liebe. Was andere vielleicht als Hobby machen, sichert mal besser oder wie im Moment mal schlechter den Lebensunterhalt und braucht Durchhaltevermögen.

Wie viele Kolleg:innen haben aufgegeben und sich andere Jobs gesucht? Es ist echt eine harte Probe für unseren Berufsstand.

Ihr merkt schon, ich bin gerade etwas nachdenklich und am Grübeln.

Jedenfalls ist mein Kopf nicht explodiert. Klar, mein Monkey Mind war mal wieder in Hochform, aber alles ging noch gut aus. Ich bin dann aufs Fahrrad gestiegen und im Sonnenschein langsam durch die Stadt gefahren. Das tat gut!

Vielleicht ist es der Winter-Blues, der mich erwischt hat. Vielleicht einfach nur Vitamin-D-Mangel!

Musiktipp

Und zum Glück gibt es Trost in schöner Musik.
Hört doch mal meinen Musiktipp gegen Winterblues:
Joni Mitchells “A Case Of You”, in der Version vom Album “Both sides now” aus dem Jahr 2000. Wunderschöne Musik, Klanglandschaften zum Eintauchen und tolle Arrangements von Vince Mendoza.

Das ganze Album ist ein Hörgenuss. In den Liner Notes zur CD beschreibt Co-Produzent Larry Klein das Album als „eine programmatische Suite, die eine Beziehung vom anfänglichen Flirt über die optimistische Vollendung bis hin zur Desillusionierung und ironischen Verzweiflung dokumentiert und schließlich in der philosophischen Übersicht über die Akzeptanz und die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Zyklus wiederholt, endet“.

Manchmal umhüllt einen die Melancholie für eine Weile beinahe wohlig und entlässt uns ganz friedlich und nach vorne schauend.

Back to normal?

Kehrt Ihr schon wieder zurück in die „Normalität“, jetzt, wo sich viele Verordnungen lockern und nach und nach vieles wieder möglich ist?  Vielleicht hängt aber die Belastung der letzten 2 Jahre Euch auch in den Knochen und ein Back-to-normal ist nicht so leicht? Immer noch ist es schwierig, faire Regeln für ein Miteinander von Geimpften und Ungeimpften zu finden. Ich höre beiden „Lagern“ zu und bin traurig über die Spaltung.

Und dann noch die Nachrichten über den Krieg in der Ukraine, dass die Fronten so verhärtet sind, dass mit Diplomatie und Gesprächen scheinbar kein friedlicher Konsens gefunden werden kann. Das ist furchtbar!

Die gute Dynamik zwischen Menschen

Wahrscheinlich habe ich gerade zu viel Zeit, mir über Dinge den Kopf zu zerbrechen, weil ich viel zu viel zu Hause bin, weil ich kaum Konzerte habe und keine Kurse gebe, weil ich nicht reise und nicht unterwegs bin und somit ein wichtiger Teil meines Jobs wegfällt, der mir Spaß macht und mich energetisch aufbaut. Der Kontakt und Austausch mit echten Menschen fehlt mir, nicht online am Bildschirm, sondern live und analog. Die Dynamik zwischen Menschen.

Jetzt könnten ja böse Zungen sagen: nach 2 Jahren muss man doch mal gelernt haben, diese Zeit alternativ zu nutzen und Arbeiten zu machen, die dann wenn es wieder normal wird, keinen Platz haben.

Ja, aber das kostet ganz schön Kraft auf Dauer. Jeder Mensch braucht doch klare Ziele und Motivation UND Strukturen, in denen sich alles einordnet, und das sind Konzerte, Momente auf der Bühne mit Publikum oder in Workshops. Hoffentlich kommen die bald wieder öfter!

Ich versuche tapfer, den Kopf über Wasser zu halten!

Schreiben, singen, üben, leben, überleben…

Warum mache ich das? Es ist der Wunsch, mich auszudrücken, inneren Welten und Gefühlen Gestalt zu geben, die Lust einzutauchen in den Flow, in die Geschichten, in den „Space“ zu kommen, wo Zeit und Raum sich auflösen. Der Spaß, zu erfinden, zu kreieren, zu verfeinern, wie eine Bildhauerin das Wesen freizulegen – und die Ergebnisse zu teilen, weil vielleicht andere Freude daran haben, z.B. mit eintauchen können, Abstand gewinnen, entspannen können oder angeregt werden zum Denken oder einfach nur zu fühlen!

In the liner notes, co-producer Larry Klein describes the album as „a programmatic suite documenting a relationship from initial flirtation through optimistic consummation, metamorphosing into disillusionment, ironic despair, and finally resolving in the philosophical overview of acceptance and the probability of the cycle repeating itself“.

Lasst uns alle den Kopf über Wasser halten und nicht untergehen und hört zwischendurch gute Musik, z.B. „Both sides now“.

Das ist melancholisch und schön zugleich.

Und bald ist Frühling! Dann wird alles besser!

Februar 2022